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Offener Brief zum Weltjournal vom 5. Dez. 2012.

Offener Brief zum Weltjournal vom 5. Dez. 2012.

Liebe Redaktion, lieber Herr Freund

Ich arbeite seit über 10 Jahren professionell in der Videospiel-Industrie und habe das letzte Weltjournal mit Aufmerksamkeit verfolgt. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass Sie mit diesem Bericht ein frustrierend einseitiges Bild der Situation zeichnen.

Vorweg: Ich werde immer wieder von Freunden, Bekannten und Verwandten behandelt, als wäre ich Casino-Betreiber, Ausbilder zum Mörder, Sexist oder sonst etwas, was Medien wie Ihres über meine Branche verbreiten. Und damit beginnen immer wieder komplexe Diskussionen, in denen ich mich für meine Arbeit rechtfertigen muss. Mussten Sie sich schon mal für ihren Beruf rechtfertigen...? Soweit mir bekannt ist Journalist ein recht anerkannter Beruf hier in Österreich. Auf jeden Fall stinkt es mir. Und dass gerade der ORF hier tatkräftig mithilft, stinkt mir enorm. Ich respektiere Sie, Herr Freund, für ihre Berichterstattung von den Schauplätzen der Welt. Aber dieser sehr einseitige Bericht gibt mir das starke Gefühl, ich hätte mich sehr in Ihrer Seriosität geirrt.

Es beginnt schon nach fünf Minuten. Als sinnbildlich für die Beziehung zwischen den Generationen wird natürlich ein Szene ausgewählt, in der ein 16-jähriger Sohn seine Mutter anstänkert und die Methodik der Szene impliziert, dass da wohl eine Verbindung zwischen Videospiel und Benehmen besteht bzw. dass sich Videospieler generell so verhalten. Dass das vielleicht nur dieser eine pupertäre Junge in dieser einen Situation war und dass das nicht automatisch auf alle Videospieler zutrifft, das bleibt unerwähnt. Vermutlich muss man schon froh sein, dass wenigstens das stilistisch eher cartoonige "Team Fortress 2" als Hintergrund ausgewählt wurde anstatt eines Shocker-Shooters wie "Call of Duty".

Das Konzept des "Free to play" wird relativ oberflächlich erklärt, aber gerade gut genug, um zu zeigen, was für böse Abzocker dahinter stecken. Dass das nicht ein grundlegendes Problem des Konzepts, sondern eben "nur" die negativen Seiten einer zweiseitigen Medaille ist, wird verschwiegen. Natürlich muss sich auch ein F2P-Spiel finanzieren, jedoch nicht alle F2P-Spiele greifen eben auf solche Abzocker-Methoden zurück. Abzocker-Spiele haben eine sehr kurze Lebensdauer und sind inzwischen auch wieder im Rückzug begriffen, da der Grossteil der Spieler durchaus fähig ist, die Auswirkungen ihres Handelns zu erkennen. Firmen, die einen längerfristigen Erfolg erzielen wollen, müssen ihren Konsumenten einen fairen Deal anbieten. Dieser Punkt, und dass es da schon einige höchst erfolgreiche Firmen gibt, bleibt auch unerwähnt. Stattdessen wird eben nur einer dieser Abzocker interviewed und praktisch als stereotyp für die Branche präsentiert. Ein positives Beispiel wäre das an anderer Stelle in ihrem Bericht kurz gezeigte "League of Legends", welches ein relativ faires Geschäftskonzept bietet und bei Live-Übertragungen gut und gerne mal die amerikanische Baseball-Liga bei den Zuschauerzahlen schlägt.

Keinerlei Unterschied wird auch zwischen Abo-Spielen (wie World of Warcraft) und "Free to play" gemacht, noch werden positive Effekte eines "Free to Play"-Konzeptes aufgezeigt (wie z. B. dass der Spieler ein Spiel probieren kann, ohne gleich zahlen zu müssen. Oder dass der Spieler nur das zahlen kann, was er auch wirklich konsumieren will). Fürs ORF-Publikum ist alles ist ein Topf.

Die Existenz von Videospiel-Sucht möchte ich nicht bestreiten. Als Mitglied einer Familie mit Alkoholismus-Geschichte weiß ich sehr gut, dass Sucht nur ein Symptom eines anders gelagerten Problems ist. Jedoch wird auch hier das Videospiel selbst als das Problem portraitiert. Jugend ist eine heikle und komplexe Zeit, Erziehung ist da sehr schwierig. Insofern kann ich verstehen, dass Eltern gerne einen Sündenbock präsentiert haben möchten, wenn da etwas schief geht. Das war schon immer so, in früheren Zeiten waren es mal Horrorfilme, Rockmusik, Comics und momentan machen die Medien halt auf Videospiele Jagd. Das wird sich über kurz oder lang selbst lösen, der durchschnittliche Spieler ist jenseits der 30-Jahre-Marke und nimmt solche Beiträge nicht mehr ernst. Ich finde es trotzdem enttäuschend, dass sich auch der ORF an dieser Jagd beteiligt. Zynisch könnte ich behaupten: Immerhin nehmen Jugendliche keine Drogen oder werden kriminell, sondern hängen "nur" vorm Bildschirm.

Den Vogel schießt der Beitrag aber dann mit dem Interview mit Frau Regine Pfeiffer ab. Diese ist die Schwester des berüchtigten Christian Pfeiffer, welcher durch seine äußerst harte Haltung und kontroversen Kritiken gegenüber Videospielen bekannt ist, welche oft auf fragwürdigen, selbst ausgeführten Studien basieren. Und auch Frau Pfeiffer selbst ist nicht unumstritten, wie eine kurze Recherche im Internet zutage geführt hätte. Dem gegenüber wird kein "Entlastungszeuge" präsentiert, nein, ihre großmütterlich-naiven Ausführungen bleiben unwidersprochen. Im Endeffekt erscheinen Entwickler als geldgierige Abzocker, während die einzige "Vertrauensperson" die nette Oma von nebenan ist.

Am Schluss wird polemisch in zwei Sätzen dann noch kurz relativiert, dass Videospiele für sich ja eigentlich nicht unbedingt schlecht sind. Ein schwacher Trost nach 29 Minuten Dämonisierung. Wieder einmal wurde meine Branche und Berufung von einem etablierten Medium in den Dreck gezogen. Es ist halt einfach, auf den vermeintlich Schwächeren und Neueren einzuprügeln. Dass damit aber gleichzeitig die Konsumenten des Mediums fälschlicherweise als naiv und leichtgläubig, unfähig zur eigenen Kontrolle und hilflos dargestellt werden könnte sich auf Dauer auch für den ORF als Eigentor erweisen. Dann nämlich, wenn sie die Generation, die sich von "Tom Turbo" abgewandt und ihre eigenen Erfahrungen mit Videospielen gemacht hat, erwachsen wird und sich von solchen Beiträgen, vom ORF und möglicherweise vom ganzen Medium Fernsehen abgestoßen fühlt.

Ich verbleibe mit grosser Enttäuschung.

Oliver Reischl